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Ende der Dualität?

Krankenversicherungsreformen in Deutschland und den Niederlanden, Staatlichkeit im Wandel 28

Erschienen am 15.08.2016, 1. Auflage 2016
46,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593506302
Sprache: Deutsch
Umfang: 228 S., 13 sw Grafiken
Format (T/L/B): 1.4 x 21.4 x 14 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Deutschland und die Niederlande teilten ihre Bevölkerung lange Zeit in gesetzlich und privat Krankenversicherte ein. Während die Niederlande dieses duale System 2006 aufhoben, blieb es in Deutschland trotz struktureller Reformen bestehen. Das Buch arbeitet im Paarvergleich Faktoren heraus, die zu diesem unterschiedlichen Ergebnis führten.

Autorenportrait

Ralf Götze, Dr. rer. pol., ist Leiter des Referats "Grundsatzfragen und Leistungsaushilfe" des GKVSpitzenverbandes, Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung - Ausland (DVKA).

Leseprobe

1 Einleitung Der Forschungsgegenstand dieses Buches ist ein empirisches Puzzle. Zu Beginn der 1980er-Jahre sicherten die Bundesrepublik Deutschland (BRD) und die Niederlande als einzige Staaten der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) die allgemeine Gesundheitsversorgung mit einem dualen Krankenversicherungssystem sicher. Während die Mehrheit der Bevölkerung gesetzlichen Krankenkassen angehörte, konnten Beamte, Selbstständige und höhere Angestellte substituierende Privatversicherungen abschließen. Diese unterschieden sich fundamental in ihrer Finanzierungs- und Vergütungssystematik. In den folgenden drei Jahrzehnten ist in beiden Ländern ein Hybridisierung beobachtbar. Diese äußerte sich einerseits in einer Vermarktlichung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) durch Kassenwettbewerb. Andererseits erfolgte eine Indienstnahme der privaten Kranken-versicherung (PKV) für soziale Belange durch Eingriffe in ihre Vertragsfreiheiten. In den Niederlanden kulminierte dieser Prozess 2006 in einer vollstän-digen Konvergenz beider Sphären durch die Einführung einer gesetzlichen Krankenversicherung mit privater Rechtsform für die gesamte Bevölkerung. In Deutschland bleiben GKV und PKV dagegen weiterhin getrennt. Die forschungsleitende Frage dieses Buchs lautet daher: Welche politischen, ideellen und institutionellen Faktoren können den zum gegenwärtigen Zeitpunkt unterschiedlichen Stand hinsichtlich der Dualität des deutschen und des niederländischen Krankenversicherungssystems erklären? Zur Beantwortung dieser Frage wird ein historisch-institutionalistischer Ansatz gewählt. In der vergleichenden Gesundheitssystemforschung ist dieser Ansatz eng mit Ellen Immerguts wegweisender Monografie Health Politics verbunden. Sie führte die unterschiedliche Entwicklung der Gesundheitssysteme Schwedens, Frankreichs und der Schweiz während der wohlfahrtsstaatlichen Expansion auf die Geschlossenheit beziehungsweise Fragmentierung der jeweiligen politisch-administrativen Systeme zurück. Demnach begünstigten instabile parlamentarische Mehrheiten in der französischen Nationalversammlung oder das fakultative Referendum in der Schweiz das Vetopotenzial der organisierten Ärzteschaft. "Political institutions do not predetermine policies. Instead, they are an integral part of the strategic context in which political conflicts take place. Political institutions set boundaries within which strategic actors make their choices" (Immergut 1992: 242). Dadurch ergänzte Immergut die akteursorientierte Vetogruppentheorie (Godt 1987; Mayntz 1990), die in der vergleichenden Gesundheitssystemforschung vor allem auf die Ärztemacht fokussiert ist, um einen politisch-institutionellen Rahmen, in dem diese Interessengruppen agieren. Dieses Buch entwickelt Immerguts Heuristik weiter, indem die Struktur des Krankenversicherungssystems in den Mittelpunkt rückt. Studien zur Wirkung wohlfahrtsstaatlicher Institutionen setzen zumeist nicht erst beim Gesetzgebungsprozess, sondern bereits bei den Reformoptionen an (Starke 2007: 29ff.). Frühere sozialpolitische Entscheidungen erzeugen Pfadabhängigkeiten, die den Gestaltungsspielraum begrenzen. Dies kann durch prohibitiv hohe Kosten begründet sein, die ein struktureller Wandel implizieren würde. Ein Beispiel hierfür ist die Umstellung einer umlagefinanzierten Altersversorgung auf Kapitaldeckung (Myles/Pierson 2001). Mit Blick auf die Gesundheitspolitik argumentiert David Wilsford, dass großer Wandel auf äußerst seltene "windows of exceptional opportunity" (1994: 252) beschränkt sei. Wohlfahrtsstaatliche Institutionen schaffen zudem ihre eigenen gesellschaftlichen Unterstützungsgruppen, die von kollektiv finanzierten sozialen Leistungen profitieren. "Maturing social programs produce new organized interests, the consumers and providers of social services, that are usually well placed to defend the welfare state" (Pierson 1996: 175). Politische Präferenzen relevan