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In der Ferne

Die Wahrnehmung des Raums in der Vormoderne

Erschienen am 13.08.2007, 1. Auflage 2007
29,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593384931
Sprache: Deutsch
Umfang: 245 S.
Format (T/L/B): 1.6 x 21.3 x 14 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Anhand von Berichten über das Reisen und Umherziehen in Mittel-, Süd- und Westeuropa untersucht Axel Gotthard die Raumbezüge der Menschen vom ausgehenden Mittelalter bis zum Beginn der Aufklärung. Gereist sind die Menschen damals aus vielfältigen Gründen: Patrizier knüpften neue Handelsbeziehungen, Handwerksgesellen gingen auf die Walz, Pilger suchten das Seelenheil, Adlige absolvierten die Kavalierstour. Was erlebten diese Menschen unterwegs als fremd, in welche Heimat sehnten sie sich zurück? Reisende, erfahren wir, identifizierten sich als Franken oder Bayern, als Katholiken oder Juden, nicht als Deutsche oder Franzosen. Grenzen wurden kaum wahrgenommen. Der Band führt vor Augen, in welchem Maße Nationen und Grenzen ein Konstrukt der Neuzeit sind, und bietet faszinierende Einblicke in die Mentalität der Menschen in der Vormoderne.

Autorenportrait

Professor Dr. Axel Gotthard lehrt Geschichte an der Universität Erlangen-Nürnberg. 2003 erschien von ihm »Das Alte Reich 1495 - 1806«.

Leseprobe

Ländergrenzen Herzogtum, Grafschaft, alte Stammesbezeichnung das alles war ganz geläufig, auch die jeweiligen Begrenzungen kannte man prinzipiell, hielt man aber im Normalfall nicht für erwähnenswert, weil irgend wichtig oder gar einschneidend. Grenzen zwischen "Nationen", den werdenden Nationalstaaten, sind in solchen Texten noch rarer. Nun gut, solche überschritten ihre Verfasser ja auch in der Tat seltener als kleinräumige Begrenzungen, so ist der folgende Befund interessanter: Ländergrenzen sind unseren Reiseaufzeichnungen keinesfalls wichtiger als andere, auch sie werden, so überhaupt, beiläufig erwähnt. In Texten des 15. Jahrhunderts präsentiert sich Europa ohnehin als grenzenloses Netz von geselligen und politischen Knotenpunkten: "Von Perpian", dem damals spanischen Perpignan, "ritt mein herr auf Munphalir", also nach Montpellier, "das ist ein schone stat. Und wolten do nit bleiben, wann es starb gar ser zu dem mal. Do von dann ritt wir auf Avian", nach Avignon, "ist gar ein schone grosse stat", was einige "schone ding" aus dem Stadtbild illustrieren. "Da von auss ritt wir auf Susa zu [.] ist ein schone stat, und leit unter einem berg. Von dann ritt wir auf Meilant zu [.]" Der noch wenig kontinuierliche, wenig homogene Raum solcher früher Reiseaufzeichnungen wird uns in Kapitel 3.6 beschäftigen. Grenzen spielen in diesen Texten keine Rolle. Neuzeitliche Aufzeichnungen sind durchgehend viel detaillierter, prunken mit Entfernungs- und Richtungsangaben sowie mit kleinräumigen politischen Zuschreibungen, aber hinsichtlich der Abgrenzung von Völkern oder Nationen ändert sich nichts. Frankreichreisende geraten gewissermaßen sukzessive in dieses Land hinein nein, das ist missverständlich formuliert, weil es so etwas wie ein "Kernfrankreich" voraussetzt, auf das wir in der ersten Hälfte der Frühen Neuzeit noch gar nicht stoßen. Man besucht ein Städtlein des Herzogs von Clairmont oder von Bourbon, reist durch die Champagne. Wir werden weder mit französischer Sprache noch französischem Wesen konfrontiert, sowieso nicht plötzlich, vor dem 18. Jahrhundert auch nicht sukzessive, es werden eben nach und nach deutsch klingende Ortsnamen seltener. Doch werden wir uns auch Frankreichreisen und in diesem Rahmen die französische Staatsgrenze weiter unten, in Kapitel 3.7, noch genauer anschauen. So mag hier, gleichsam in der Vorwegnahme, ein einziger Reisebericht genügen. Der Kulmbacher Erbprinz Christian Ernst, der seine Reisenotizen vom damals namhaften Dichter Sigmund Birken in Buchform bringen ließ, durchzog in den späten 1650er Jahren wiederholt den französisch-deutschen Grenzsaum, auf die Zuschreibung "französisch" stoßen wir indes nur an dieser Stelle: "Den 15 diß, kamen Sie zu Mittag nach Sekt, ein Dorf unter das Französische Parlement zu Ensisheim im Elsaß gehörig, fütterten daselbst, und gelangten Abends nach Mömpelgart, die Haupt- und Residenz-Stadt dieses Würtenbergischen Fürstentums." Das Adjektiv will nicht einem großen homogenen Raum namens "Frankreich" zuordnen, sondern einem Parlamentsbezirk, immerhin, über diese administrative Untergliederung werden wir gleichsam indirekt darauf gestoßen, dass die Reisegesellschaft nicht auf "deutscher" Scholle unterwegs war, jedenfalls nicht um die Mittagszeit. Geschlafen hat man dann schon wieder auf Reichsboden, was für den Autor indes nicht bemerkenswert ist. Große, homogene Nationalräume konturiert er sowieso nicht gegeneinander; aber auch andere politische Grenzen wurden offensichtlich nur selten für bemerkenswert gehalten. Wie wenig einschneidend politische Grenzen wirkten, zeigt vielleicht noch schlagender diese Passage, die festhält, dass sich die vornehme Reisegesellschaft im September 1660 ostwärts der Schweiz näherte: "Den 24 diß nahmen Sie ihren Weg nach Champagnole: allwo Sie weder Speis noch Trank gefunden, und von dem Pater des Orts, mit Geld und guten Wortten [.] etwas Fleisch und Eyer erhalten konden. Zu Morillon, weil auch der Schmalhans Wirt daselbst ware, musten Sie gleichfalls Nacht über sich armselig behelfen. Endlich, nachdem Sie S. George den 25 diß zurücke gelegt, kamen Sie, folgenden Mittags um 10 Uhr, glücklich nach Geneve."

Inhalt

Inhalt Einleitung7 1. Aktuelle Kontexte: Der Raum der Globalisierung10 2. Problemaufriss: Was wir so alles nicht genau wissen 28 2.1 Vormoderne Räume und was sie uns für Fragen aufgeben 28 2.2 Vormoderne Grenzfälle und was sie uns für Fragen aufgeben 55 2.3 Welche Fragen sind besonders interessant? 59 2.4 Welche Sonden könnten uns helfen?63 2.5 "Raum" und "Raumwahrnehmung" 68 3. Vormoderne Lebensräume 72 3.1 Heimatliches, Befremdliches 72 3.2 Wer einem so begegnet 86 3.3 Verortungen 93 3.4 Grenzgänge 101 3.5 Leer oder "lustig" was zwischen den Zielorten liegt 111 3.6 Rauminseln oder Raumkontinuum? 131 3.7 Zum Beispiel Frankreich 143 4. Alte Netze, neue Vernetzungen 156 Anmerkungen 165 Quellen und Literatur 218

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Wenn einer eine Reise tat